Dale befürchtet einen Bürgerkrieg


Und dann kommt sie doch, die Wirklichkeit. Sie steht am Ende der Main Street in Durango und heißt Dale Kästner. Dale ist Vietnamveteran, groß, gepflegte Erscheinung, weißer Vollbart. Er kommt langsam auf mich zu, trägt eine Kerze in der Hand und mustert mich, bevor er mich vorsichtig anspricht. Seine Vorfahren sind Deutsche, sein Großvater kommt aus Düsseldorf, seine Großmutter aus Kiel. Sie waren Juden wie er, starben im KZ Bergen-Belsen. „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“, mehr deutsch ist ihm nicht geblieben. Er lernte seine Frau in Durango kennen, auch sie ist Jüdin. Auch sie trägt eine Kerze in der Hand.

Typische Demonstranten sind sie nicht. Und doch demonstrieren sie gegen die Einwanderungspolitik der Regierung, gegen Trump. Dale ist umringt von rund 100 Menschen, die alle Kerzen in der Hand halten und Transparente, auf denen es um Grundsätzliches geht. Darum, dass Amerika schon immer ein Einwanderungsland war und dass man sich nicht spalten lasse von Trumps Flüchtingspolitik. In 700 Städten dieses Landes wird zur Stunde demonstriert.

Ganz konkret geht es gegen die neuen Haftanstalten für Flüchtlinge an der Grenze zu Mexiko. Am Sonntag sollen die Flüchtlinge dort kaserniert werden. Dale ist empört, dass Kinder von ihren Eltern getrennt werden. Er zieht den Vergleich zu Konzentrationslagern, spricht den Namen Adolf Hitler aus. Viele gehen auf die Barrikaden, das Land sei in Aufruhr. „Ich befürchte einen Bürgerkrieg“, sagt Dale und stimmt in die Demonstrationchöre ein, die in Zweizeilern das Ende der Flüchtlingscamps fordern. Dale und seine Frau Jane wünschen mir zum Abschied eine schöne Zeit in den USA. Es ist ehrlich gemeint.

Wenige Meter entfernt brandet der Touristenstrom und man erinnert sich gern an diesen schönen Tag. Daran, wie man auf verschlungenen Pfaden einmalige Landschaften erkundet hat und hilfsbereite Menschen kennenlernen durfte, die sich mit ehrlichem Interesse nach der Herkunft erkundigen, die uns Ratschläge geben für die Weiterfahrt und freundlich einen guten Aufenthalt wünschen. Die Offenheit ist entwaffnend, wir reagieren nicht selten erstaunt über so viel Interesse. Interesse von Menschen, die uns gar nicht kennen. So wie Dale, der heute Abend gemeinsam mit seiner Frau zum Demonstrieren gegangen ist. Gegen Präsident Trump.