Gemütlich im ersten Gang biegt der 89-jährige Angel Delgadillo auf die Hauptstraße in Seligman ein. Kaum taucht er in Sichtweite seines kleinen Friseursalons auf, beginnt die Menge zu jubeln. Soeben ist ein Bus Japaner eingetroffen, die Minoltas klicken im Dauerfeuer. Der betagte Barbier ist die Hauptattraktion des kleinen Ortes, der seit 30 Jahren vergessen wäre, hätte nicht er sämtliche Bundesstaaten zusammengebracht und die „historical Route 66“ erfunden.
Gelassen nimmt er das Rasiermesser zur Hand, schlägt den Schaum und rasiert einen von unserer Gruppe, der an der Wette teilgenommen hat, sich bis Seligman nicht mehr zu rasieren.
Seit der Rasur sind 14 Stunden vergangen, wir schlagen nachts in Las Vegas auf. Mitten rein in den Strip, mit 21 Motorrädern und Begleittross. Noch immer hat es 40 Grad. Die Spielerstadt brodelt, wir kippen von den Bikes. Geschafft.
Nachdem wir mit Angel noch ein Gruppenbild machen, bevor er wieder an seinen Arbeitsplatz verschwindet, wo er täglich Menschen aus aller Welt rasiert, fahren wir zu Lilo, eine Wiesbadenerin, die durch ihr Restaurant am Ende von Seligman weltberühmt geworden ist, wegen ihrer netten Art und wegen der Schwarzwälder Kirschtorte. Irgendwann vor 50 Jahren hat es die Dame hierher verschlagen – „der Liebe wegen“. Seither betreibt sie ihr Lokal mit deutscher Gründlichkeit.
Angel und Lilo winken uns nach, als wir Richtung Kingman entschwinden. Dort treffen wir eine weitere Berühmtheit der Route 66: Jim Hinckley, Cowboy und Buchautor. Sein Hauptthema: Die Route 66, ihre Ghostowns und die Autos der 60er-Jahre. Er selbst stammt aus Kingman und holte seine heutige Frau in den Jugendjahren schon mit einem Oldtimer ab. Weil der nur 40 Sachen lief, mied er die Interstate und fuhr auf der Route 66. So entwickelten sich zwei Lieben: Die zur Frau und die zur Straße. Manche der Ghosttowns entlang der Route 66 seien nicht mehr zu retten, sagt Hinckley realistisch.
Nach Kingman fahren wir den Sitgreavespass hinauf, vielleicht der schönste Streckenabschnitt überhaupt. Kakteen und sandige Pisten erinnern uns daran, dass wir in der Wüste sind. Von der Passhöhe sehen wir die typischen Felszacken über Needles am Horizont. Was für eine Szenerie. Und dann sind wir auch schon in Oatman, wo die Esel Vorfahrt haben. Sie fressen Günter die Mohrrüben aus der Hand und wollen ihn gar nicht mehr gehen lassen.
Es geht hinab in die Ebene und jetzt zeigt sich, wer Saunagänger ist. Die Nadel geht auf über 120 Fahrenheit, das sind 50 Grad im Schatten. Wir halten an jeder Tanke und erfrischen uns am Gartenschlauch. In Laughlin, einer Spielerstadt, in der übrigens am Freitag Deep Purple spielt, machen wir eine Zwangspause: Der Kreislauf eines Teilnehmers versagt, wir lassen das Motorrad zurück und nehmen ihn im Begleitvan mit. Wir pausieren kurz im Casino, ein kleiner Vorgeschmack auf Las Vegas.
Las Vegas, das wir im vollen Glanz nach einer weiteren Stunde erreichen. Der Strip ist voll wie immer, wir checken im Treasure Island ein und sehen die blinkenden Lichter der Stadt. Morgen früh geht’s ins Valley of Fire. Start ist um 6 Uhr, der Hitze wegen.