Der längste Tag der Expedition

VON CHRISTOPH FISCHER

Nach 32 Tagen beschwert man sich nicht mehr. Dafür dauert die Weltmeisterschaft schon zu lange. Halbfinale in Belo Horizonte, kurz BH, bitte keine falschen Assoziationen. Estadio Mineiroa. Belo Horizonte, die schöne Aussicht, hoffentlich auch schöne Aussichten für die Fußball-Vertretung Deutschlands. Eigentlich ist die Schöne Aussicht gar nicht weit von unserem Dorf entfernt, 65 Minuten mit dem Flugzeug. Wir waren schon länger unterwegs in Brasilien.

Unsere findigen Reisekaufleute aus Frankfurt haben sich für diesen besonderen Termin eine besondere Terminierung einfallen lassen. Ursprünglich sollten wir um 7.00 Uhr Ortszeit auf unserem kleinen Flughafen in Porto Seguro abheben. Dann haben sie den Termin vorverlegt. 4.00 Uhr Abflug, 3.00 Uhr am Flughafen, 2.00 Uhr aufstehen. Für ein Spiel, das, eine Flugstunde entfernt, um 17.00 Uhr Ortszeit anfängt. Wie gesagt keine Beschwerde. Was interessieren meine Befindlichkeiten auf dem Weg ins Finale?

Wir waren um 6.00 Uhr in BH, sind ein wenig herumgelaufen, Kaffee gab es noch nicht, weil alles noch geschlossen war. Keine Seele auf der Straße, außer Hunderten von Obdachlosen, die sie in Belo Horizonte zumindest nicht weggejagt haben. In Belo Horizonte ist wegen des Halbfinales Feiertag. Der Verkehr in der 2,6-Millionen-Metropole wäre sonst mit Sicherheit zusammengebrochen. Irgendwann haben wir dann doch noch einen Kaffee bekommen und sind dann in der gebotenen Frühe im Stadion angekommen. 11.00 Uhr Ortszeit, noch sechs Stunden bis zum Anpfiff. Ich war noch nie so unsinnig früh bei Weltmeisterschaften in einem Stadion. Aber die Reisemenschen des Deutschen Fußball-Bundes haben keinen anderen Weg gefunden.

Wenn das Spiel vorbei ist, sagen wir der Einfachheit halber gegen 20.00 Uhr, haben wir alle Zeit der Welt, sagen unsere Organisatoren. Dank ihres nachgewiesenen Talents fliegen wir erst um 2.00 Uhr morgens zurück, kurz nach 3.00 Landung, voraussichtlich gegen 4.00 im Dorf und im Bett. Summa summarum 26 Stunden unterwegs für ein Fußballspiel, nachweislich der längste Tag unserer Expedition ins schöne Brasilien. Manchmal fragt man sich schon, ob das alles sein muss. Aber es ist ja ein Halbfinale einer Weltmeisterschaft, kein Dorfsportfest. Obwohl die Damen und Herren aus Frankfurt besser zu Dorfsportfesten passen würden.

BH ist übrigens keine besonders schöne Stadt, auch wenn Tostao und die Präsidentin Dilma Rousseff hier das Licht der Welt erblickt haben. Aber das nur ganz nebenbei. Und alles keine Beschwerden, lieber Leser. Nur Feststellungen. Aber wenn Jogi und die Jungs jetzt auch noch verlieren, dann werde ich in Brasilien erstmals richtig sauer.

Garantien gibt es nicht

VON CHRISTOPH FISCHER

Jeder sieht das sicher anders. Und Garantien gibt es bei einer Weltmeisterschaft ohnehin nicht. Aber die deutsche Fußball-Nationalmannschaft steht bei dem wichtigsten Sportereignis der Welt zum vierten Mal hintereinander im Halbfinale. Der ungeliebte Bundestrainer hat mit Recht darauf hingewiesen, dass das ein unglaublicher Erfolg ist. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Ein Triumph in Rio de Janeiro im Finale der Weltmeisterschaft wäre die logische Konsequenz. Wenn es im Fußball denn eine Logik gäbe. Gibt es aber nicht. Dennoch deutet das ganze Auftreten dieser deutschen Mannschaft in Brasilien auf die Möglichkeit des ganz großen Erfolges hin. Diese Gelassenheit, diese Abgeklärtheit, diese Coolness, die Joachim Löw vorlebt, sie ist nicht gespielt oder demonstriert. Es ist das Selbstverständnis dieser Nationalmannschaft, die sich auf den Punkt konzentrieren kann. Die sich nach fünf Spielen in Brasilien auf den Weg gemacht hat, den vierten Titel nach Deutschland zu holen.

Es war nicht alles perfekt, was das Team von Löw abgeliefert hat. Und es geht in Belo Horizonte auch nicht gegen irgendeine Kirmestruppe sondern gegen den fünfmaligen Weltmeister, eine der dominierenden Formationen der Welt, auch wenn Neymar und Thiago Silva nicht dabei sind. Die besten vier Mannschaften stehen im Halbfinale, hat Manuel Neuer mit großer Selbstverständlichkeit gesagt. Auch dem ist nichts hinzuzufügen.

Es ist diese Selbstgewissheit, die die Grundlage berechtigter Hoffnungen ist, dass Löw dieses Mal endlich der ganz große Wurf gelingt. Mit dem er sich dann verabschieden könnte. Und vielleicht wird erst dann vielen klar sein, um was für einen außergewöhnlichen Typ es sich bei Herrn Löw handelt.

Jetzt ist alles bereitet, jetzt geht es ums Ganze.

Die Armut wird bleiben

VON CHRISTOPH FISCHER

31 Tage Brasilien. Porto Seguro, Santo André, Salvador, Fortaleza, Recife, Rio de Janeiro haben wir gesehen, die Landschaft zwischen Porto Seguro und Salvador haben wir erkundet. In 24 Stunden kommt Belo Horizonte hinzu. Kennen wir Brasilien? Kennen wir nicht. Kennen wir die Brasilianer? Kennen wir nicht.

Was bleibt von diesem Land? Eine große Ungewissheit, was die Zukunft anbelangt. Milliardenteure Stadien, die dieses wunderschöne Land genauso wenig braucht wie Südafrika, wo die Weltmeisterschaft vor vier Jahren stattfand. Brasilien wird in zwei Jahren Gastgeber der Olympischen Sommerspiele 2016 sein. Was werden diesem Land die größten Sportfeste der Welt bringen? Außer für ein paar Wochen im Mittelpunkt des Weltinteresses gestanden zu haben.

Vermutlich bleiben Schulden. Dass die Sportereignisse dieses riesige Land wirtschaftlich nach vorne bringen, sind nicht mehr als formulierte Wünsche in den Fensterreden korrupter Politiker. Volkswirtschaftlich befindet sich dieses Land nach einem kurzen Höhenflug in der Abstiegsspirale. Das sagen zumindest alle Experten. Wenn der große Tross verschwunden ist, wird das Land mit seinen Problemen alleine zurückbleiben. Uns haben sie gesagt, sie hoffen darauf, dass viele, die da waren, wiederkommen. Als zahlende Touristen.

Und selbst wenn dieser Wunsch in Erfüllung gehen sollte, wird das die Probleme des Landes nicht lösen. Und die Menschen werden sich fragen, was man mit ihnen veranstaltet hat. Sie werden sich fragen, warum in ihrem Land eine Fußball-Weltmeisterschaft stattgefunden hat. Und warum Olympische Spiele.

Bleiben wird die Armut. Und der Reichtum weniger. Und die Hoffnung von Millionen. Das ist zum Leben zu wenig. Und zum Sterben zu viel.

Gesunde Härte?

VON CHRISTOPH FISCHER

Bastian Schweinsteiger hat es gesagt. Gesunde Härte im Fußball ist kein Problem, sondern eine Tatsache der sportlichen Auseinandersetzung auf höchstem Niveau. Was mit dem Brasilianer Neymar passiert ist, hat nach Ansicht nicht nur von Mehmet Scholl mit gesunder Härte aber nichts mehr zu tun. Dass vor allem dominierende Spieler mit Brutalität konfrontiert werden, hat Luiz Felipe Scolari in großer Eindringlichkeit festgestellt.

Auch Bastian Schweinsteiger hat darauf hingewiesen, dass es in Brasilien schon „einige Fälle“ gegeben hat, die über die von ihm genannte und geforderte gesunde Härte hinausgegangen sind. Die Frage ist, ob Schiedsrichter das verhindern können. Oder ob die Geschwindigkeit des Spiels auf höchstem Niveau selbst den herausragendsten Schiedsrichter nicht irgendwann überfordern muss. Und genau dann stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll ist, weitere technische Hilfsmittel zu nutzen. Dass der Weltfußballverband Fifa eine Prüfung der Vorkommnisse in Fortaleza zugesagt hat, ist ein erster Schritt. Ob der zielführend ist, sei dahingestellt.

Um nicht falsch verstanden zu werden. Es kann in Brasilien keinen pauschalen Vorwurf gegen die Schiedsrichter geben. Sie leiten die Spiele im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten, die bei dem einen weiterentwickelter sind als bei dem anderen. Aber wer bei einem Turnier wie der Weltmeisterschaft die Torlinientechnik einführt und damit nachweisbare Erfolge erzielt, der muss sich schon die Frage gefallen lassen, warum das der Technik letzter Fortschritt sein muss.

Es ist eben nicht mehr so, dass der Fußball auf allerhöchster Ebene derselbe Fußball ist, der auf den Sportplätzen nebenan gespielt wird. Da lohnt das Nachdenken allemal. Wer Änderungen auf höchster sportlicher Entwicklungsebene zulässt, muss sich nicht automatisch den Vorwurf der Spaltung einer Sportart gefallen lassen.

Am siebten Tage sollst du ruhen

VON CHRISTOPH FISCHER

Sie finden das jetzt vielleicht ein wenig ungewöhnlich, lieber Leser, aber das aktuelle Tagebuch beginnt heute mit einem bekannten Wort aus dem zweiten Buch Moses. „Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun, aber des siebenten Tages sollst du feiern, auf dass dein Ochs und Esel ruhen und deiner Magd Sohn und der Fremdling sich erquicken.“ Zurück aus der Metropole Rio de Janeiro geht das Leben in Porto Seguro wieder seinen gewohnten Gang. Gefeiert haben wir zwar nicht, wir haben grippale Infekte bekämpft, die in Rio de Janeiro überfüllten Schreibblöcke abgearbeitet und die Zitate geordnet, Telefonate geführt, die anfallenden Termine besprochen, ansonsten aber war Ruhe angesagt. Wir sind jetzt seit dem 7. Juni auf der Piste, dieses Sportfest in Brasilien ist wirklich anstrengend. Und deshalb haben wir uns eine biblische Pause gegönnt. Moses hatte den Sonntag vorgesehen, wir haben den Samstag genommen.

Nach der Pause ist vor dem Stress. Heute ging es frühmorgens mit der Fähre wieder in Richtung Santo André. Die Nationalmannschaft trainiert heute noch einmal und macht sich dann auf dem Weg nach Belo Horizonte, wo Brasilien ohne Neymar am Dienstag der Halbfinalgegner ist. Bundestrainer Joachim Löw werden inzwischen in der Republik Lobeshymnen gesungen, woran Sie erkennen können, wie schnell in diesem Geschäft die Stimmung umschlägt. Wenn selbst die Kollegen eines bekannten Hamburger Nachrichtenmagazins schon fast euphorisch vermuten, einen derart wunderbaren Trainer habe die Republik eigentlich gar nicht verdient.

Wir bleiben auf dem Boden der Tatsachen. Es sind auf jeden Fall noch zwei Spiele, entweder geht es ins Finale zurück ins Maracaná oder zum Spiel um die goldene Ananas nach Brasilia. Was wir bevorzugen, ist bekannt, aber bis dahin ist noch ein gutes Stück Arbeit zu erledigen. Dass im Halbfinale die Creme des internationalen Fußballs aufeinandertrifft, war vielleicht nicht zu erwarten, überraschend ist es andererseits aber auch nicht. Deutschland gegen Brasilien und Argentinien gegen die Niederlande. Dass Bondscoach Louis van Gaal mit der Rochade seiner Torhüter vor dem Elfmeterschießen gegen Costa Rica neben dem brutalen Foul an Neymar das Gesprächsthema Nummer eins ist, kann nicht verwundern. Und der deutschen Mannschaft kann es nur Recht sein. Soweit man unmittelbar vor dem Halbfinale noch ein wenig Ruhe haben kann, die Deutschen haben sie auf ihrer Halbinsel. Und am Ende hat dann auch der Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff alles richtig gemacht mit dem Campo Bahia.

Die veröffentlichte Meinung in Deutschland scheint sich gedreht zu haben. Wie sich die öffentliche Meinung entwickelt, sieht man auf den Straßen der Republik. Es wird eine bewegte letzte Woche der Weltmeisterschaft. So oder so. Und seien Sie versichert: Die biblischen Sprüche haben bis zur Rückkehr nach Deutschland ausgedient.

Chapeau, Trainer

VON CHRISTOPH FISCHER

Jetzt ist alles möglich. Die deutsche Nationalmannschaft steht im Halbfinale der Weltmeisterschaft in Brasilien. Und sie bewies gegen Frankreich im Viertelfinale, dass sie nicht nur berechtigt zum Favoritenkreis dieser Endrunde in Brasilien zählt, sie zeigte auch mit ihrer Einsatzbereitschaft, dass sie den Titel will. Diese Nationalmannschaft dürfte auch an den deutschen Stammtischen die Kritiker überzeugt haben. Wer zum siebten Mal seit 1982 in Spanien zu den besten vier Mannschaften der Welt zählt, kann ohnehin nicht viele Fehler gemacht haben.

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Zurück in der Wirklichkeit

VON CHRISTOPH FISCHER

Der Himmel über Rio de Janeiro ein wenig verhangen, das Maracaná streng bewacht. Auf dem Weg ins Stadion zum Viertelfinale stellen sich zehn Reihen schwer bewaffneter Sicherheitsleute in den Weg, Rucksack auf, Rücksack zu in jeder dritten Reihe. Zurück in der Wirklichkeit am Morgen nach einem wunderbaren Abend an der Copacabana. In Rio de Janeiro werden die Kontrollen strenger auf dem Weg ins Finale. Ob das alles sein muss?

Kleine Party nach dem deutschen Sieg. Foto: pr

Kleine Party nach dem deutschen Sieg. Foto: pr

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Der Zauber von Maracaná

VON CHRISTOPH FISCHER

Sicher, es ist nicht mehr das alte Stadion. Und es hat noch nicht einmal mehr die Hälfte der Plätze. Nur noch 74000, früher waren es 200000, es war das größte Stadion der Welt. Auch das Wembley-Stadion in London ist längst nicht mehr das alte. Und auch andernorts denkt man über Modernisierungen oder Neubauten nach, weil wir nicht mehr in den 50ern des letzten Jahrhunderts leben sondern in der Neuzeit. In der die Anforderungen nicht nur der Zuschauer andere geworden sind.

Das neue Maracaná Stadion. Foto: Christoph Fischer

Das neue Maracaná Stadion. Foto: Christoph Fischer

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Das Zentrum des Sportfestes

VON CHRISTOPH FISCHER

Endlich sind wir im Herzen des Sportfestes. Vieles wird von Rio de Janeiro erzählt, selbst wenn man schon einmal kurz auf der Durchreise war und man meint, das eine oder andere zu kennen, alles dummes Zeug. Wenn man wirklich mittendrin ist in der Stadt, dann weiß man, es ist anders, das Gefühl ist anders, nach dreieinhalb Wochen in Brasilien total neu. Jedenfalls muss es hier sein, nirgendwo anders, wo das Herz der Fußball-Weltmeisterschaft schlägt.

Das Stadion passt zu einer pulsierenden Metropole, die nie schläft.  Foto: pr

Das Stadion passt zu einer pulsierenden Metropole, die nie schläft. Foto: pr

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Es war einmal der Ort des Volkes

AUS RIO DE JANEIRO BERICHTET CHRISTOPH FISCHER

Maracaná war ein Sinnbild Brasiliens, vor der Weltmeisterschaft wurde es ein Symbol des Widerstandes. 1950 für die Weltmeisterschaft als größtes Stadion, das die Welt jemals sah, erbaut, galt das Maracaná als der „Ort des Volkes“. „Das ist es nicht mehr“, sagt Mario Jorge Lobo, genannt Mario Zagallo, der erste und einzige neben „Kaiser“ Franz Beckenbauer, der als Spieler und Trainer Fußball-Weltmeister war. „Das alte Maracaná ist tot“, fügt der 82 Jahre alte Nationalheld traurig hinzu.

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