Ein Lasso, aber kein Netz

Fields of Gold: So muss es Sting wohl gemeint haben.

Dass wir im Wilden Westen sind, merkt man an der Fahrweise der Trucker. Einer von ihnen rumpelte gestern in den einzigen Funkmast der Gegend und legte die digitale Verbindung zur Welt in Asche. Da gewinnt die Feuerglocke im Ortszentrum eine neue Bedeutung. Sie funktioniert zwar auch nicht, wurde aber aufbewahrt „als Erinnerung an frühere und einfachere Zeiten“. Kurz vor der Abfahrt geht’s dann plötzlich doch wieder, deshalb nur kurz und ein paar Fotos: Die Stimmung ist prächtig, nachdem wir im Occidental Hotel beim Fine Dining mit schickem Kellner waren und mit Butch Cassidy und Sundance Kid Büffelsteaks gegessen haben, fast jedenfalls. Ansonsten herrliches Präriegefühl, saftige Weiden, surreale Landschaftsbilder mit feinen Farbnuancen, deren Komposition kein Künstler besser hinbekommen hätte. Und einsame Tankstellen mit Saloons und kaum WKD-tauglichen Küchen, in denen sich Gastronomin Brigitte mit Grausen abwendet, andere beißen mit Freude in ihre Burger.

Heute ist Nationalfeiertag


Mount Rushmore liegt hoch oben in den Black Hills. Wir erklimmen die steile Straße mit unseren Harleys und dürfen ganz nach vorne auf Level sechs des Parkhauses. Ob es an der Motorradmarke liegt? Hier regiert die Symbolik, es ist eine Demonstration nationaler Identität. Eine Stunde reicht, um die amerkanische Seele ein bisschen zu beobachten. Heute ist Nationalfeiertag, die vier Präsidenten in Granit werden zur Kultstätte. Reservisten von Navi, Air Force und Marine treffen sich hier, „Keep America great“ ist oft zu lesen. Kinder schwingen Fähnchen mit Stars and Stripes, Frauen tragen weite Kleider in den Nationalfarben. Ein zackiger Navi-Offizier bietet sich an, von uns ein Gruppenfoto zu machen. Er blickt uns tief in die Augen und verbschiedet sich mit einem festen Handschlag. United we stand, soll das vermutlich heißen. Wir gehen schnell zum Parkplatz.

Denn bei so viel Pathos wollen wir nicht stören und steuern den Needles Highway an, ein gewundenes Sträßchen durch dichte Nadelwälder. Die Tunnel sind so schmal, dass nur ein Auto durchpasst. Die Straße ist eine Wucht. Sie führt durch schönste Landschaften. Serpentinen, Tunnel, Haarnadelkurven, manchmal geht es über Holzbrücken und durch schmale Schluchten. Leider hängt auch eine Wolke über den Black Hills, so dass wir den Regenkombi auspacken müssen.

Die regionalen Schauer lassen wir hinter uns und schwingen zu einer weiteren Ikone: nach Sturgis. Hier findet in ein paar Wochen eines der größten Motorradtreffen statt, und wir hofften, einen Hauch davon mitzubekommen. Unterwegs besuchen wir Crazy Horse, eine Art indianische Gegenbewegung, ebenfalls in Stein gemeißelt, aber unfertig. In hundert Jahren soll es soweit sein, wenn alles glatt geht. Es wir heftig gearbeitet.

Sturgis wiederum ist wie ausgestorben. Leere Straße, geschlossene Läden. Wenigstens Harley hat offen und wir bekommen einen Kaffee. Nach weiteren 15 Meilen die Überraschung des Tages: Unser Ziel ist Deadwood, und was wir hier sehen, ist das genaue Gegenteil: Massen schieben sich durch das malerische Westernstädchen, dessen junge Geschichte uns Tourguide Andy erzählt: von Revolverheld Wild Bill Hickok, von Goldgräbern und anderen Glücksrittern, von Anwälten, Priestern, Trappern und ungelernten Arbeitern. Alles wird hier liebevoll gepflegt. In Saloon No. 10 ist der Stuhl zu sehen, ind dem Wild Bill Hickok von Jack McCall beim Poker erschossen wird. Von hinten.

Bisons und falsche Cowboys

Unsere Richtgeschwindigkeit sind 60 Meilen, die der Trucker etwas höher.

Es gibt verschiedene Strategien, um der Müdigkeit beim Geradeausfahren zu entkommen. Andy schaltet den Tempomat aus und dreht am Gas, damit er überhaupt was zu tun hat, Georg sucht die schmissigsten Lieder auf seinem Stick und bläst sie durch die Stereoanlage seiner Harley: In the desert, you can remember your name. Dabei sind wir gar nicht in der Wüste, sondern in der Prärie auf dem Highway 18 nach Lusk.

So stellt man sich das vor: Ein Cowboy wacht über die Rinderherden. In diesem Fall Pustekuchen.

Verhaltensauffälligkeiten sind da nicht ausgeschlossen. Katharina winkt einem Cowboy hoch zu Ross und bemerkt zu spät, dass es eine Attrappe ist. Aus Georgs Anlage dringt „Horse with no name“, er filmt die endlose Weite. Im Guernsey State Park huldigt Bruni mit einem Kniefall dem „land of the free, home of the brave“. Oder fotografiert sie eine Blume? Jedenfalls ist morgen Nationalfeiertag und wir nähern uns dem Mount Rushmore, wo die Präsidenten in Fels geschlagen sind. Am Straßenrand decken sich Amis mit Feuerwerkskörpern ein.

Brunis Kniefall vor dem „Land der Freien“. Oder fotografiert sie eine Blume?

Vor diesem Spektakel gönnen wir uns Ruhe und Natur im Custer State Park. Auf der Badger Clark Memorial Road (sogar die Straße riecht nach Feierlichkeit) sehen wir Büffel, die uns leider nur den Rücken zuwenden, um es mal vornehm auszudrücken. Über ihnen kreisen Adler, der Duft nach frischem Gras umweht uns auf dem Weg nach Keystone.

Schwere Tiere im Custer State Park. Morgen sehen wir mehr auf dem Needles Highway.

Dort sind bereits die Flaggen gehisst für morgen, wobei unsere Hoffnung auf Kontakt zu festlich gestimmten Natives enttäuscht wird. Im Hotel emfängt uns Personal aus Europa und Asien, im Restaurant eine Dame aus China, die vorher auf Sylt bedient hat und deutsch spricht. Okay, dann ist Keystone eben international. Wir freuen uns auf morgen, aus den legendären 4. Juli, ausgerechnet an der Ikone Mt. Rushmore. Wir finden bestimmt richtige Amerikaner mit stolzgeschwellter Brust, wobei gerade dort der Streit mit den Indianern um das Land und das Geld immer noch tobt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Geradeaus war gestern: Heute nehmen wir den langen Weg nach Hause.

Auf der Trail Ridge Road

Happy Birthday: Brigitte bekommt eine Luck Bell für ihre Sportster.
Happy Brigitte: Mit der Luck Bell und dem Annual Pass in die Berge.

Heute also ist Brigitte dran: Happy Birthday und ein Glöckchen für Damen (das sind Glücksbringer für Milwaukee-Eisen, wobei Brigitte im richtigen Leben eine BMW fährt, aber hier eine Sporty, und sie macht eine gute Figur, obwohl die Sporty sicher nicht leicht zu fahren ist).

Estes Park, Drehort für Shining und Eingng in den Rocky Mountain National Park.

Von Estes Park (2700 M.ü.M), schwenken wir auf die Trail Ridge Road ein, die uns in den Nationalpark führt. Nachdem jeder seinen Annual Pass hat, schrauben wir uns hinauf. Wie hoch? Auf sagenhafte 3700 Meter, weit über die Baumgrenze, es liegt noch Schnee und es ist warm! In dieser Tundra grasen die Wapitihirsche am Straßenrand, wir müssen aufpassen, dass wir den Braten für heute abend nicht selbst erlegen). Durch den Forest Canyon geht das schwarze Band zum Milner Pass und dann hinab zum Colorado River.


Ein paar Pommes reicht’s gerade noch, dann mahnt Andy zur Eile. Warum? Donner und Blitz sind genau da, wo wir hin wollen! Von jetzt an bestimmt das Wetter unser Denken und Handeln. Vor uns ist es schwarz, links Regen, rechts ein Sonnenstrahl, Petrus kann sich nicht entscheiden. Wir ziehen die Regencombis an, geben Gas, schlagen Haken wie flüchtige Bankräuber. 65 Meilen pro Stunde bringen uns ins Arapaho-Gebiet und schließlich (fast) trocken nach Walden/Colorado – ein Tankstop in einem 130 Jahre alten Westerstädtchen, wo die Tumbling Weeds über den staubigen State Highway rollen. Wieder sind wir dem Regen entkommen, was für ein Spießrutenlauf.

Spätestens in Laramie spüren wir den nächsten Bundesstaat Wyoming an der endlos geraden Spur vor unseren Rädern. Jetzt gibt es kein Entkommen mehr: Unser Zielort Wheatland liegt hinter einer schwarzen Wand, die sich vor uns auftürmt. Unüberwindbar! Die endlose Weite zeigt uns, wo es gerade schüttet, direkt vor uns nämlich. Aufs schlimmste gefasst, halten wir tapfer dagegen, Andy erhöht sogar das Tempo, und siehe da: Trockenen Fußes kommen wir im Shamrock Saloon zum Stehen, wo uns Marie eine Kaffee macht und sich wundert, warum wir kein Coors-Bier wollen. Sie als Bikerin und alle anderen hier trinken immer Bier. Eine halbe Stunde noch, und wir sind im Super 8. Für heute reicht’s. Jetzt gibt’s ein Indian Pale Ale aus der Kühlbox. Prost Marie!

Morgen geht’s durch die endlose Prärie zum Needles Highway und nach Keystone. Ferne Weiten sind uns sicher.

High Mile City und die Berge

Das Schönste an Denver ist die Nähe zu den Rockies. Ihnen eilen wir zu, nachdem wir die Harleys abgeholt haben. Die Interstate 70, das haben wir schon im Fernsehen mitbekommen, ist stark frequentiert – achtspurig. Wir schlängeln uns nach Golden und bekommen im Clear Creek einen ersten Eindruck: bizarre Felsen und klares Wasser. Je tiefer wir in die Mischwälder des Gebirges eintauchen, umso friedlicher wird es und umso besser freunden wir uns mit den Maschinen an. Spätestens hinter dem Spielerstädtchen Black Hawk (Casino-Alarm) schwingen wir durch die langgezogenen Kurven, als hätten wir nie etwas anderes gefahren.

Und auf dem Peak to Peak Highway sind wir in der Front Range angekommen – dem Alpenvorland der Rocky Mountains. Es geht hinauf auf 2700 Meter. In den Pausen schwärmen wir vom satten Grün und der klaren Luft, von den schneebedeckten Flanken der Bergriesen. Wobei die Wolken eher grau sind, die uns verfolgen. Wir halten uns an das Blau des Himmels, sind optimistisch und schlüpfen unfassbar trocken durch die Regenschauer hindurch. Einer hat sieben Tropfen gezählt, kein Grund, den Regenkombi auszupacken.

Um auch den kulturellen Teil abzudecken, halten wir an der Chapel on the Rock, eine Kapelle, die gerade mal hundert Jahre alt ist und schon vom Papst gesegnet wurde. 1993 tat dies Papst Paul II. nach einem Jugendcamp in Denver. Mit so viel Segen von oben reiten wir unbeschwert in Estes Park ein, wo Teile von „Shining“ gedreht wurden. Fast hätten wir im Stadtgarten noch eine Art John Denver singen hören, doch uns zieht’s ins Two Owls, wo Tourguide Andy den Elk isst, der draußen nie mehr grasen wird. Das tun zwei Artgenossen des Elchs im Vorgarten des Nachbarn – keine 10 Meter entfernt. Was für ein erster Tag! Übrigens hatte gestern Georg Geburtstag, er bekommt ein Glücksglöckchen von Harley – für seine „Indian“ zuhause.

Einreise geglückt

Für die Daheimgebliebenen: Die Einreise der Easy-Rider-Gruppe aus dem Schwäbischen nach Colorado ist geglückt. Alles verlief problemlos trotz zweier Gartenscheren in Esthers Rucksack, die einfach dort hingehören, warum also jetzt nicht? Der Zöllner nahm uns das Versprechen ab, in den Rockies die Obstbäume zurückzuschneiden. Morgen aber holen wir erst mal unsere Harleys und machen die ersten Meilen in den Rocky Mountains National Park. Wir wollen Cowboys sehen (und Cowgirls)!

Rocky Mountains High

Der Countdown läuft. Am Sonntag starten die GEA-Leser zu einer weiteren Motorradreise der Superlative. Ziel sind die Rocky Mountains, die mit gemieteten Harleys erkundet werden. Ob bei den Cowboys, in Sturgis oder beim Rodeo: Auch dieses Mal sind die Leser hautnah dabei, denn es gibt auf dieser Seite tägliche Reiseberichte in Wort und Bild. Rocky Mountains, wir kommen!

Wieder da

Nach 4500 Kilometern durch den Westen der USA sind die Teilnehmer der GEA-Motorradreise wieder zurück – wohlbehalten und gesund, das ist das Wichtigste. Auf der Fahrt zu den Sehenswürdigkeiten von Kalifornien, Arizona, Nevada und Utah wurde den Teilnehmern einiges an Strapazen abverlangt: Es ging durch mehrere Klimazonen, manchmal an einem Tag, mal auf endlosen Geraden, mal auf geschotterten Passstraßen. Im Konvoi Großstädte wie Las Vegas und San Francisco zu durchqueren, erforderte ein Höchstmaß an Konzentration und Disziplin. Geschafft haben es alle, und am Ende waren alle glücklich. Demnächst folgt ein Nachtreffen, bei dem die Teilnehmer Erinnerungen austauschen werden. Großer Dank gebührt unserem Guide Andy Klotk von Kultourbikes Schwaben, der die Gruppe mit Ortskunde, geschickter Organisation und viel Einfühlungsvermögen durch den Westen führte.  Ein Glücksfall für diese GEA-Leserreise!


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Valley of Fire

 

Letzte Kilometer, letzte Eindrücke: Das Valley of Fire ist die Attraktion des Tages, bevor wir ins verrückte Las Vegas abtauchen und unsere Motorräder abgeben. Wieder ist es roter Sandstein, der  sich vor 150 Millionen Jahren aus großen Wanderdünen formte. Das schwarze Band des Highways liegt wie aufgeklebt auf den tektonischen Platten, die sich hier senken und heben. Wir schwingen durch eine unfertige Landschaft voller schroffer Riffs und kantigen Rändern. Hauptsache Bewegung: Das Thermometer zeigt 35 Grad.


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Bryce Canyon und Zion

Nach 2 Wochen Harley-Fahren sind wir ja alte Haudegen. Die drei Grad Lufttemperatur, die es heute morgen hat, stecken wir locker weg – mit gefühlten sieben Schichten im Zwiebelprinzip. Auch die Kuh, die im Dixie Forest auf 3000 Metern plötzlich auf die Straße und direkt auf unseren Konvoi zu galoppiert, bringt uns nicht wirklich aus der Fassung. Was uns ernsthaft abbremst, ist der „Hogsback“, ein Teilstück des Highway 12 durch den Süden von Utah. Das Sträßchen verläuft ohne Ankündigung im Zickzack auf dem Rücken eines Wildschweins zwischen Boulder Creek und Calf Creek, links und rechts nichts als gähnender Abgrund. „Du wirst es nie vergessen“, schreiben die Touristiker aus Boulder. „Darüber möchte ich nicht mehr sagen, da mein Blick nur gerade aus gerichtet war. Ich konnte nicht hinunter schauen“, schreibt Walter später auf Facebook. Das will etwas heißen, denn Walter hat beruflich alle Rennstrecken der Welt gesehen.


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