Das Ende einer Ära

Trainer Vicente del Bosque kann mit Spanien nach dem letzten Vorrundenspiel am Montag die Heimreise antreten. FOTO: WITTERS

Trainer Vicente del Bosque kann mit Spanien nach dem letzten Vorrundenspiel am Montag die Heimreise antreten. FOTO: WITTERS

VON CHRISTOPH FISCHER

Es tat fast körperlich weh, die Spanier zu sehen. Das Mühen um Rehabilitierung nach dem 1:5 gegen die Niederlande. Aber die Mühen des amtierenden Weltmeisters waren auch gegen Chile vergeblich. Ganz offensichtlich vergeblich. Eine Mannschaft, die seit dem Europameistertitel 2008 den Weltfußball dominierte, hat ihren Zenit am Ende doch schneller überschritten als erwartet.

Experten hatten vorausgesagt, dass Spanien selbstverständlich Chancen auf eine erfolgreiche Titelverteidigung in Brasilien habe. Aber das elegante Kurzpassspiel, das die Spanier selbst dann noch nicht aufgaben, als sie längst geschlagen waren, hat sich überholt. Die enorme Dynamik und Schnelligkeit des Fußballs ist über sie hinweg gegangen. Die Spanier haben nichts mehr zuzusetzen. Und trotzdem tut es weh, diese großartigen Techniker am Ende als Verlierer zu sehen.

Vicente del Bosque, dieser große Trainer, ist mit seinem Latein am Ende. „Das ist ein sehr trauriger Tag für uns“, sagte er. Und irrte nach dem 0:2 gegen Chile orientierungslos durch die Arena. Der Mann findet sein Ziel nicht mehr. Einer, der für Neuerungen stand, der mit seinen Ideen den spanischen Fußball entwickelte wie keiner vor ihm, ist an das Ende seiner Schaffenskraft gelangt. Eine Ära ist vorbei.

Auch die Spanier müssen akzeptieren, dass man den Weltfußball nicht langfristig dominieren kann. Irgendwann ist die Dominanz, die Einmaligkeit einer Mannschaft, nur noch bewunderte Vergangenheit. Der Absturz ist meist brutal. Aber nur er ermöglicht den Neuanfang. Ohne die Akteure vergangener Höhenflüge.

Breitner wie nie: Ein Tag im Campo mit Jogi und Hansi

VON ACHIM MUTH

Neuer Tag im Campo Bahia: Draußen fließt ruhig der Niersbach vorbei. Die Fischer auf dem Kahn werfen ihre Netzer aus, in der Reus zappelt eine Scholl. Am Ufer arbeiten einige Weidenfeller mit ihrer Axt. Durchs Gestrüpp streift ein Löw. Am Himmel flattert ein Finke. Drüben auf dem Mertesacker kicken ein paar Kinder. Idylle. Auf dem Bierhoff des Campo sitzt der Jogi und trinkt ein Glas Balotelli. Eben hat er noch mit seiner Dante telefoniert. Im Fernsehen läuft gerade der Kinofilm Hulk, der hat einen Oscar bekommen. Das Haus ist eine tolle Immobile, es hat sogar einen Durm aus Holz. Den hat der Draxler gemacht. Auch das Badezimmer glänzt, erst gestern ist der Beckenbauer fertig geworden. Alles edel: Der Badstuber ist aus Mahagoni, der Wasserhahn aus Silva und hat 1000 Sterling gekostet. Lahm gingen die Bauarbeiten zunächst voran, doch dann klappte alles wie am Schürrle. Jetzt wohnt die ganze Kompany schon ein paar Tage hier. Das erste Spiel wurde gewonnen, nach einem Ginter über rechts hat Poldi mit der Piqué getroffen. Alles scheint gut. Plötzlich kommt der Hansi auf seiner Kawashima angefahren und ruft: „Jogi, drüben in der Villa sieht es aus wie bei einem Schweinsteiger. Man glaubt da wohnt ein Messi oder ein Pena.“ Aber auch Hansis Kleider sind schmutzig. Sein Sakho hat einen Flick, da waren offenbar Motta dran.

Jogi: „Hansi, ich gebe Dir mal einen Matip: Nimm etwas van Persie, dann geht das raus.“

Hansi: „Und wenn nicht?“

Löw: „Dann nimm einen Zwanziger und lass Dir beim Snijder ein neues machen.“

Hansi: „Gut, Jogi.“

Plötzlich schreit der Mats, er wurde von einer Hummels gestochen. Di Maria macht ihm einen Verband und dann gehen sie alle durch den Park zum Mittagessen in die Mensah vom Campo. Gestern gab’s griechisches Glykos mit Tziolis. Auf dem Hitzfeld dampft es aus den Töpfen.

Jogi: „Hansi, was gibt’s heute zum Essien?“

Hansi: „Hausgemachte Klose mit Sosa, richtig schön Kroos.“

Mmmhhhh. Leckie. Die mag der Jogi, er schüttet sich aber immer noch etwas Maggio drüber. Dazu hat der Schwarzenbeck frisches Brot aus echtem Roggenmehl vom Müller gemacht.

Hansi: „Was magst du trinken, Jogi?“

Jogi: „Ich nehme einen Coentrao, und du?“

Hansi: „Für mich einen Martinez.“

Gemütlich sitzen sie auf der Mata und werden immer Völler. Die Köpke sind schwer. Hinter dem Effenberg mit dem Großkreutz geht die Sonne unter. Der Jogi gibt dem Hansi einen Klopp: Ein Herz und eine Seeler. Am Ende sind sie Breitner wie nie. Aber ein letztes Zieler haben sie noch: Weltmeister.

Als Rennfahrer unterwegs

VON CHRISTOPH FISCHER

Wir sind zurück in Porto Seguro. Nicht, dass ich klagen will, aber es war nicht ganz einfach. Kollege Michael hat geschimpft mit mir, weil ich die Landstraße von Salvador zurück ins Stammquartier benutzt habe wie qualifizierte Rennfahrer früher die Nordschleife auf dem Ring. Aber der Reihe nach. Im Pelourinho wird normalerweise abgeschleppt, was das Zeug hält. Aber unser kleines weißes Auto, Fabrikat uninteressant, nur soviel: Das Werk steht in Köln, unser kleines weißes Auto also haben sie stehen gelassen. Weil sie genau gewusst haben, die Jungens bestrafen sich selbst.

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Zur Bedeutung von Statistiken

VON CHRISTOPH FISCHER

Früher waren Statistiken im Sport vorwiegend etwas für Basketballer, Volleyballer, Baseballer, Leichtathleten und Schwimmer. Seit im Fernsehen immer mehr Sendezeit für den Fußball aufgewendet wird, ist diese Sportart auch etwas für Statistiker. Menschen wie Joachim Löw hat das zwar nicht zu Freunden der Statistik gemacht, aber die Match Reports bei Fußball-Weltmeisterschaften werden wie in der deutschen Bundesliga immer umfangreicher.

Welche Mannschaft in welchen Teil des Spielfeldes mehr Ballbesitz gehabt hat, wie das Verhältnis von Ecken, Freistößen, Abseitsstellungen, Ballbesitz und effektiver Spielzeit ist, beschäftigt die Statistiker. Das Spiel der deutschen Mannschaft gegen Portugal dokumentiert in einigen Bereichen absolute Übereinstimmungen. Bei den erfolgreichen Torschüssen selbstredend natürlich nicht. Und auch nicht im Ballbesitz und in der effektiven Spielzeit. Und dennoch sind die Statistiken nicht annähernd so aussagekräftig wie das Ergebnis.

Wir wollen jetzt nicht die Sprüche aufzählen, wonach nichts so entscheidend ist wie das, was sich auf dem Platz abspielt, aber ein paar Beobachtungen abseits der Statistik sind doch schon jetzt auffallend bei dieser Weltmeisterschaft. Wir versteigen uns zu der Behauptung, dass das deutsche Spiel das modernste scheint, das spanische wirkt ein wenig überholt, das brasilianische Spiel hat seinen Zauber noch nicht entfaltet, das System von Louis van Gaal und den Niederländern ist beeindruckend und die Italiener leisten sich im Jahre 2014 in dem großartigen Andrea Pirrlo immer noch einen Regisseur alter Prägung.

Deutschland, Italien und die Niederlande spielen bisher als einzige Mannschaften wie Turnierfavoriten. Das muss gar nichts heißen, ganz ohne Bedeutung ist es deshalb aber nicht. Wie die Statistiken eben.

Die Bewerbung von Salvador

VON CHRISTOPH FISCHER
Das war in dieser Dominanz nicht erwartet worden. Der klare Sieg gegen Portugal war nicht nur eine Demonstration der Stärke der deutschen Nationalmannschaft, es war auch eine ernsthafte Bewerbung um den Titel. Selbst Wolfgang Niersbach reagierte überrascht auf den klaren Erfolg gegen den Weltranglisten-Vierten. Freude pur habe auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Ausdruck gebracht beim Besuch in der Kabine, berichtete DFB-Präsident Niersbach.
Der Anfang ist gemacht. Und die Form des deutschen Teams spricht dafür, dass sie bei diesem Turnier weit kommen kann. Die Defensive spielt weitestgehend solide. Und in der Offensive ist die deutsche Mannschaft von der Konkurrenz nur schwer zu übertreffen. Die Startformation kann Joachim Löw auf fast jeder Position nochmals intensivst dynamisieren, wenn es einmal nicht laufen sollte. Das Projekt mit der »ersten 14« ist die richtige Antwort auf die speziellen Herausforderungen dieser Weltmeisterschaft.
Ein Auftakterfolg gegen Portugal ist noch keine Garantie für Irgendetwas, aber die Souveränität, mit der dieser Sieg herausgespielt wurde, ist mindestens ein so großes Ausrufezeichen wie der Erfolg der Niederländer gegen den Weltmeister Spanien oder der Sieg der Italiener gegen die starken Engländer. Nach vier Tagen zeichnet sich auf jeden Fall ab, dass diese Weltmeisterschaft fußballerisch eine herausragende werden kann.

Schumacher ist ein großes Thema

VON CHRISTOPH FISCHER
Sagen wir es einmal so. Die Fahrt über 750 Kilometer von Porto Seguro nach Salvador zählt bisher zu den anstrengendsten Unternehmungen des brasilianischen Abenteuers. 24 Stunden vor dem Spiel der deutschen Mannschaft gegen Portugal sind wir in unser zweites Hotel weit außerhalb der Stadt gezogen, wo man aus dem Fenster auf das Meer blickt.
Wenn es nicht den kleinen Nachteil geben würde, dass zwischen Meer und Hotel die Schnellstraße Richtung Salvador entlang führt. Entlang donnert sollte man vielleicht besser sagen. Schlafen wird zum Problem. Und die Nacht über fiel außerdem wieder tropischer Regen auf die Stadt. Fernsehbilder zeigen brasilianische Städte unter Wasser.
Uns fehlt schon jetzt die historische Altstadt, das Pelourinho. In der Rückschau ein prägendes Erlebnis der Brasilien-Tour. Sollten Bundestrainer Joachim Löw und seine Mannschaft Gruppenzweiter werden, kommen wir nochmals nach Salvador zurück. Ansonsten war es das, heute Abend nach dem Spiel geht es zurück nach Porto Seguro ins Paradies der deutschen Nationalmannschaft in Santo André. Nach dem 4:0-Sieg gegen Portugal werden die Jungs in bester Stimmung sein.
Schön ist, dass man auch in Brasilien noch den Rest des Sportgeschehens auf der Welt mitbekommt. Mit Lukas Podolski haben wir auch über seinen Freund Michael Schumacher geredet. Und offenbar geht es mit dem in Frankreich ja irgendwie wieder aufwärts. Ist jedenfalls in Brasilien ein großes Gesprächsthema, dass der Legendäre aus Kerpen doch irgendwie irgendwann wieder auf die Beine kommt. Und dass Martin Kaymer aus Mettmann bei Düsseldorf die US Open gewinnt, das macht den Golffreund fast euphorisch. Vor allem den aus dem Rheinischen. Morgen Weiteres aus Porto Seguro.

Weiträumig umfahren

Wie das so ist bei einer Weltmeisterschaft. Da steht dieses Stadion von Salvador mitten in der Stadt, aber das Hineinkommen ist ein Problem. Ohne Akkreditierung geht es gar nicht. Mit Akkreditierung ist es einfacher, weil sich Tore öffnen, die sich sonst nie öffnen würden. Wir sind heute von unserem Hotel – drei Sterne, bitte nicht nach Komfort in Brasilien fragen, wir belegen immer ein Zimmer zu zweit – über eine Dreiviertelstunde in die Stadt gefahren, wo in drei Stunden die deutsche Mannschaft in ihrem ersten Spiel dieser Weltmeisterschaft auf Portugal trifft.

Ein Taxifahrer brachte uns, immer freundlich – diese freundlichen Menschen werden mir fehlen, wenn ich wieder in Baden-Württemberg bin – nach weiträumiger Umfahrung bis nahe an die Arena Fonte Nova heran. Nahe ist ein dehnbarer Begriff. Unser Fahrer sprach mit den Händen von fünf Minuten, ehe er uns lachend verabschiedete. Es wurden 20, aber egal. Ein Zaun am anderen, fast liegt das riesige Stadion einsam. Drumherum werkeln sie jeden Tag, weil in Salvador wie andernorts nichts wirklich fertig geworden ist. Man staunt bei diesen Turnieren immer wieder darüber, wie viel in Bewegung gesetzt werden muss, um ein simples Fußballspiel stattfinden zu lassen. Hunderte von Menschen bewachen Tore, Sicherheitspersonal zu Fuß und zu Pferd, Polizeipatrouillen umkreisen die Arena, alles ist auf der Piste. Damit nichts passiert.

Fast fehlt uns schon das Pelourinho, die Altstadt, wo wir zwei Nächste verbracht haben – unser Auto steht hoffentlich immer noch dort, mit dem wir nach dem Spiel wieder acht bis neun Stunden nach Porto Seguro unterwegs sind. Wünscht uns Glück, liebe Leser des GEA.

Im Pelourinho geht man über uralte Pflasterstraßen und blickt über malerische Häuserfronten, ich berichtete schon darüber. Das neue Stadion ist dagegen wie ein Ufo in diese Stadt gekommen. Und wenn die Weltmeisterschaft diese Stadt wieder verlassen hat und die oft traurige Realität die Brasilianer wieder für sich alleine haben, fragt man sich, was aus diesem Ungetüm wird. Der EC Bahia ist immerhin ein Erstligist, andere Städte wie Manaus haben nur einen Viertligisten. Und man fragt sich dort, wie das Riesenstadion nach den vier Erstrundenspielen dieser Weltmeisterschaft jemals wieder gefüllt werden soll. In Salvador de Bahia hoffen sie zumindest darauf. Und dann wird die Arena auch nicht mehr so bewacht werden müssen wie beim Spiel Deutschland gegen Portugal.

Kommentar: Die Kraft des Moments

Manuel Neuer hat es gesagt, die deutsche Nummer eins mag Turniere wie die Weltmeisterschaft, er mag den Druck und er mag die großen Momente. Es ist dieses spezielle Selbstbewusstsein, das diesen Torwart auszeichnet. Bis zuletzt hatte es Zweifel gegeben, ob die Zeit nach der Verletzung der Schulter ausreicht. Offenbar reichte sie aus. Entgegen aller Erfahrungen mit Kapseleinrissen im Schultereckgelenk.
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Feste feiern im Pelourinho

VON CHRISTOPH FISCHER

Dieser Regen in Brasilien. Es strömt und prasselt wie verrückt, Nieselregen kennt der Brasilianer nicht. In der Rua das Portas da Carmo reißen die Sturzbäche fast dieTische um. Aber was kümmert das den Fan aus den Niederlanden, wenn die eigene Mannschaft den amtierenden Weltmeister Spanien in der Neuauflage des Finales von 2010 mit 5:1 aus der Arena Fonte Nova fegt. „Hast du das gesehen“, fragt Peter aus Nijmwegen immer noch ungläubig. Der Mann kann sein Glück kaum fassen. Er ist seit Jahren mit der Nationalmannschaft seines Landes unterwegs. Ein solches Spiel hat er aber noch nicht erlebt. „Das ist Louis van Gaal, es gibt keinen besseren“, sagt Peter voller Überzeugung.

Frühmorgens um 6 Uhr im Pelourinho. Noch nichts los, wo abends das Leben pulst. Foto: Fischer

Frühmorgens um 6 Uhr im Pelourinho. Noch nichts los, wo abends das Leben pulst. Foto: Fischer

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