Was tun, Herr Löw?

VON CHRISTOPH FISCHER

Die Systemfrage wird vermutlich die am intensivsten diskutierte Frage auf dem Weg ins Viertelfinale der Weltmeisterschaft im Maracaná von Rio de Janeiro sein. Denkt der Bundestrainer möglicherweise doch über Philipp Lahm auf der Rechtsverteidigerposition gegen Frankreich nach, wie löst er überhaupt das Problem mit den Außenverteidigern bei diesem Turnier? Wie denkt Löw über die linke Angriffsseite, ist Mesut Özil als zentraler Regisseur vielleicht doch ein Gedankenspiel? Und was wird aus Miroslav Klose?

Nach den bisherigen Erfahrungen in Brasilien wird der Bundestrainer sein 4-3-3-System als Grundprinzip nicht aufgeben. Das spricht gegen einen klar definierten Spielmacher. Özil wird also auch gegen Frankreich zunächst rechts spielen. Mario Götze kann aufgrund seiner desolaten Darbietung gegen Algerien eigentlich keine Rolle mehr spielen, Lukas Podolski wird ihn gegen Frankreich ersetzen. Oder alternativ André Schürrle. Robuste und in der Premier League geübte Akteure sind auf jeden Fall gegen Frankreich eher angezeigt als Mario Götze, der gegen Algerien den Eindruck vermittelte, irgendwie ständig im Weg zu stehen.

In der Defensive wird Jerome Boateng wieder auf rechts rücken, wenn Mats Hummels in der Innenverteidigung gegen Frankreich einsatzfähig ist. Und auf links scheint Löw nicht über Alternativen zu Benedikt Höwedes nachzudenken, obwohl dessen Offensivqualitäten überschaubar sind. Löw, der von seinen Spielern höchstmögliche Flexibilität erwartet, sie müssen nach seinen Vorstellungen auf allen Positionen in ihren jeweiligen Reihen einsetzbar sein, lässt diese Flexibilität in seinen Gedankenspielen bisher (noch) nicht erkennen. Das muss gegen Frankreich nicht ins Auge gehen, ist aber auch nicht auszuschließen. Was tun, Herr Löw? Die Lage bleibt spannend. In jeder Hinsicht.

Mit und ohne Branding

VON CHRISTOPH FISCHER

Wissen Sie eigentlich, lieber Leser, warum mich der mangelnde Einsatz des einen oder anderen Nationalspielers nervt? Ich sage es Ihnen. Den Jungs wird überall alles abgenommen, alles, der Nationalspieler soll sich auf das Fußball spielen konzentrieren können. Das ist nachvollziehbar. Aber man wird doch verlangen können, dass Gegenleistungen nicht von vornherein ausgeschlossen sind. Oder?

Jeden Tag hängt der Plan an der Zimmertür. Frühstück ist von 7.00 bis 10.15 Uhr, die Jungs sollen sich Zeit lassen bei der Nahrungsaufnahme. Aufstehen ist für 8.00 Uhr vorgesehen. Im Falle von Flügen muss das Gepäck bis 10.30 Uhr abgegeben sein. 10.40 Uhr ist Mannschaftssitzung, Abfahrt zum Stadion, wenn um 13.00 Uhr gespielt wird. Danach Transfer zum Flughafen. Abends Rückkehr ins Campo Bahia. Nach jedem Spiel, selbst nach dem Finale. Abends sind Frauen und Freundinnen herzlich willkommen. Bis zum nächsten Tag. Es geht schließlich nicht nur um Nahrungsaufnahme.

Ach ja, auf dem rechten Teil der nationalmannschaftlichen Dienstanweisungen steht die Kleiderordnung. Die Offiziellen trägen das Reise-Outfit von Hugo Boss, das Tagesoutfit der Spieler ist ein rotes T-Shirt ohne MB-Branding. MB steht für, Sie wissen schon, Mercedes Benz. Die Spieler tragen an Spieltagen den weißen Anzug des Deutschen Fußball-Bundes (auch ohne MB-Branding) und das Trainer- und Funktionsteam den roten Dienstanzug (auch ohne MB-Branding). MB-Branding geht nur, wenn der Journalist vorbeikommt und bei DFB-Terminen. An Spieltagen sieht das der Blatter Sepp als Präsident der Fifa nicht gern, weil Hyundai Fifa-Sponsor ist. Nun wissen Sie das auch, wenn Sie das nicht längst schon gewusst haben.

Die Kicker kümmern sich in Brasilien wirklich nur ums Kicken. Und das finde ich als überzeugter Sportler gut. Weil es dann wenigstens keine Entschuldigungen gibt. Wenn es einmal nicht funktioniert. Aber mit den Gegenleistungen, das muss gegen Frankreich irgendwie noch besser werden. Weil es irgendwann ja nicht mehr nur um die Kleiderordnung geht sondern um Prämien. In Millionenhöhe.

Was uns anbelangt. Wir sind Dienstagmorgen aus Porto Alegre gegen 3.30 Uhr in Porto Seguro gelandet. Abgeholt hat uns keiner. Und alles ohne Branding.

Die pure Kraft des Moments

VON CHRISTOPH FISCHER

Die deutsche Erfolgsgeschichte bei der Weltmeisterschaft in Brasilien geht weiter. Auch die großartige Mannschaft Algeriens konnte die Deutschen am Ende nicht aufhalten. Nun geht es in Rio de Janeiro im Viertelfinale gegen Frankreich. Der Masterplan von Joachim Löw hat weiter Bestand, auch wenn es gegen die Nordafrikaner ein schweres Stück Arbeit war. Es ist noch viel zu tun, bis aus Deutschland wieder ein Weltmeister werden kann. Aber die Chance ist weiter vorhanden.

Nur das Glück, ein überragender Torwart Manuel Neuer und ein Geniestreich von André Schürrle hielten die deutsche Mannschaft im Wettbewerb. Es war die pure Kraft des Moments, der für die Deutschen entschied. Aus einer weitgehend sicher stehenden Abwehr entwickelte die deutsche Mannschaft in Porto Alegre keine Ideen für ihr Offensivspiel. Das Schlimmste an dieser Vorstellung war aber, dass es dem einen oder anderen deutschen Profi an der Einstellung fehlte. Die Vorstellung von Mario Götze war ein Frechheit.

Von der Idealvorstellung Joachim Löws ist die Formation momentan noch weit entfernt. Und es zeigte sich einmal mehr, dass die Phase der Entscheidungsspiele ein anderes Geschäft ist als die Vorrunde. Die Mannschaft spielte über weite Strecken verunsichert, ihr fehlte die Physis und die Körpersprache, um die starken Afrikaner beherrschen zu können. Diese Mannschaft wuchs im Achtelfinale über sich hinaus, aber die Deutschen stehen im Viertelfinale. Der Fußball funktioniert so. Und das ist ja auch das Schöne daran.

 

Die Odyssee geht weiter

VON CHRISTOPH FISCHER

Es ist unsere sechste Station in diesem Land. Porto Alegre im Süden Brasiliens. Und wie anders das ist. 14 Grad, Regen, deutsche Kühle, das müsste den Jungs von Joachim Löw eigentlich liegen. Fritz Walter-Wetter, sagten wir früher. Für uns geht die Odyssee aber weiter. Mit dem Flieger war alles in Ordnung, pünktlich sind wir aus Porto Seguro eingeflogen, die Maschine hat ein wenig gewackelt, aber im Grunde alles bestens. Aber dann mussten wir wieder in den Bus. Und der war nicht akkreditiert, konnte also nicht auf die Parkplätze der Arena Beira Rio. Wir haben es dann gemacht wie der Journalist es immer macht. Wir sind zu Fuß zum Stadion. Und haben es rechtzeitig geschafft.

Passend zur Temperatur heißt unser Reiseleiter im Süden übrigens Arno Frost, kein Scherz. Sein Vater wanderte früh ins südliche Brasilien ein, seine Mutter ist eine waschechte Bayerin. Sein Bayerisch hat sich inzwischen etwas verloren, aber der deutschen Sprache ist er weiter mächtig. Porto Alegre sei die europäischste aller brasilianischen Städte, sagt Arno. Irgendwie sollten wir das bei unserem kurzen Aufenthalt sehen. Wir haben aber keine grundlegenden Unterschiede festgestellt, wir haben einfach zu wenig Zeit. Ich berichtete schon darüber: Einfliegen, Spiel sehen, berichten, ausfliegen, das ist unsere Welt. Wie sagt Lukas Podolski immer, wir sind nicht zum Spazierengehen in Brasilien.

Das Stadion ist neu wie alle Stadien für diese Weltmeisterschaft, die Stadt drumherum nicht. Also sind die Probleme auch in der europäischsten aller Städte Brasiliens vermutlich genau die gleichen wie andernorts. Und um zum Stadion zu kommen, braucht man Akkreditierungen, hätte das Reiseunternehmen eigentlich wissen müssen. Aber vielleicht sind wir nach dem Desaster von Recife einfach nur zu sensibel? Und was interessieren Sie, lieber Leser, eigentlich die Probleme der Berichterstatter vor Ort. Wir sind schließlich hier, um alles Notwendige in ihre Tageszeitung zu bringen. Das tun wir, und wenn wir Kilometer bis zum Stadion laufen müssten. In Porto Alegre waren es zwei oder drei.

Aber ärgerlich ist es schon. Und wir wissen ja noch nicht, wie wir nach dem Spiel schnell wieder wegkommen sollen. Vom Stadion zum Flughafen bei Hochbetrieb. Der Flieger wartet nicht, das hatten wir ja schon einmal. Ich halte Sie auf dem Laufenden und bitte um Verständnis für meinen erneuten Ärger.

Julio Cesar rettet die WM

VON CHRISTOPH FISCHER

Man kann zur brasilianischen Mannschaft bei dieser Weltmeisterschaft stehen wie man will, aber es ist gut für dieses Turnier, dass sie weiter dabei ist. Nicht nur Cacau befürchtet beim frühzeitigen Ausscheiden ein schnelles Umschlagen der Stimmung in Brasilien. Insofern rettete Torwart Julio Cesar vom FC Toronto im Elfmeterschießen gegen die tapferen Chilenen im Achtelfinale nicht nur Mannschaft und Trainer das Viertelfinale sondern womöglich auch den brüchigen sozialen Frieden im Land.

Brasilien darf weiter vom sechsten Titel träumen. Auch wenn die spielerischen Leistungen der Selecao bisher sehr überschaubar sind. Die Defensive um David Luiz vom FC Chelsea spielt zwar bisher weitestgehend überzeugend, aber alles, was man von der Offensive sieht, muss den anderen Favoriten der Weltmeisterschaft bislang zumindest keine Angst einflößen. Und bestätigt nachhaltig die Befürchtungen Pelés, dass es schwer werden wird für seine Nachfolger im Kampf um den Titel.

Die Frage, warum Fred immer noch im Sturmzentrum spielt, kann man nur damit beantworten, dass es im Land des Fußballs an international renommierten Angreifern fehlt. Auch Hulk von Zenit Sankt Petersburg wirkt mit seiner Körpermasse allein nachts auf einsamen Straßen Furcht einflößend, im Angriff präsentiert er sich gelegentlich fast unbeholfen. Bleibt Neymar, der beim FC Barcelona zwar immer noch keine Heimat gefunden hat, mit bisher fünf Treffern aber einer der herausragenden Stürmer des Turniers ist. Nach dem Einzug ins Viertelfinale weinte der Superstar minutenlang Freudentränen. Ob Neymar allerdings ausreicht, die Selecao ins Finale und zum Titel zu führen, steht dahin.

Die Odyssee von Recife

VON CHRISTOPH FISCHER

Wir sind zurück in Porto Seguro. Damit war kaum noch zu rechnen. Irgendwann hat sich aber doch noch eine kleine Propellermaschine gefunden, in der gerade noch die 30 Plätze für die Gestrandeten von Recife übrig waren. Eine 43 Stunden dauernde Odyssee fand dann irgendwie doch noch ein Ende. Das Bett von Jogi habe ich übrigens auch noch abgeben müssen. Die Griechen, die sensationell ins Achtelfinale gekommen und gegen Costa Rica in Recife gespielt haben, baten um Einlass. Sokratis ist im Apartment 1432 eingezogen, wir mussten unseren Krempel nochmals umräumen. Aber das konnte niemand mehr schocken.

Wecken war um fünf Uhr morgens. Damit wir rechtzeitig am Flughafen sind. Um 7.30 Uhr sollte der Flieger in Richtung Porto Seguro abheben. „Das Flugzeug wartet schon“, frohlockte die Reiseleitung, was sich als irrwitzige Übertreibung herausstellen sollte. Man vertröstete uns immer um eine Viertelstunde. Bis es wirklich zu blöd wurde. Am Ende stellte sich heraus, dass ein Flieger in Recife nicht nur nicht zur Verfügung steht, sondern noch nicht einmal in Porto Seguro abgehoben hatte. Wegen Bodennebel.

Nun denn. Nach dem vierten Kaffee unterhält uns am Flughafen eine Frevo-Kombo. Aber der Rhythmus will absolut nicht in meinen Körper. Eine Aufforderung zum Tanz einer Schönheit aus Recife lehne ich ab, was ich sonst nie tun würde. Aber mir fehlt einfach der Antrieb. Wenn nichts funktioniert, reagiert man irgendwie auf alles allergisch. Sie kennen das.

Irgendwann, als wir uns schon mehr oder weniger auf einen weiteren Tag im Hotel der Nationalmannschaften eingerichtet hatten, sagt einer: Alles einsteigen. Durch einen Hinterausgang gelangen wir mit dem Bus auf einen weit entfernten Teil des Flughafens, wo in der hintersten Ecke unser kleines Propellerflugzeug auf uns wartet – und auch dort drei brasilianische Schönheiten. Die erste ist der Offizier, die zweite eine Flugschülerin und die dritte das Kabinenpersonal. Sie haben uns sicher nach Porto Seguro gebracht. Geht doch, sage ich, als bei einem Kollegen die am Flughafen vor fünf Tagen geparkte Karre keinen Mucks mehr tut. Batterie alle. Es gibt Tage, an denen man am besten gar nicht aufsteht. Dem armen Kerl stehen die Tränen in den Augen. Am Montag geht es mit dem Flieger in Richtung Porto Alegre. Die Reiseleitung versichert, wir kommen noch in der Nacht zum Dienstag zurück. Bin mal gespannt.

Ein Mal im Monat Karneval

VON CHRISTOPH FISCHER

Freunde des Karnevals, fahrt nach Brasilien. Und dort vielleicht gar nicht nach Rio, sondern nach Recife, wo der Frevo zuhause ist. Der Frevo de Rua, der Frevo der Straße, der alle Klassen von Menschen zusammenbringt, der keine sozialen Grenzen kennt. Der Frevo ist stilbildend, irgendetwas Eigenständiges am Rande der Samba, die Menschen laufen heiß, wenn sie ihn tanzen. Sagt Roberto, der uns das Frevo-Museum in der Altstadt von Recife zeigt. Das haben sie gebaut, weil der Frevo und der Karneval in Recife das Leben vielleicht noch mehr bestimmen als in Rio de Janeiro.

Keiner kann dem Karneval und dem Frevo in Recife entfliehen, es sei denn, er verlässt fluchtartig die Stadt. Foto: Christoph Fischer

Keiner kann dem Karneval und dem Frevo in Recife entfliehen, es sei denn, er verlässt fluchtartig die Stadt. Foto: Christoph Fischer

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Gemeinsam gegen Germany

VON CHRISTOPH FISCHER

Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Die Konstellation ist einmalig. Und wenn die Nachrichtenagenturen vom „Gemeinsam gegen Germany“ schreiben, ist das einprägsam. Und stimmen tut es auch. In Recife treffen zwei ehemalige deutsche Bundestrainer auf den amtierenden, Jürgen Klinsmann und sein „special advisor“ Berti Vogts auf Joachim Löw.

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Feuerwerk für fünf Tore

VON CHRISTOPH FISCHER

Endlich ist die Weltmeisterschaft auch in unserem Dorf angekommen. In Porto Seguro und Umgebung gab es Feuerwerke. Bei jedem Tor, das die Brasilianer beim 4:1 über das ausgeschiedene Kamerun erzielten, haben Brasiliens Pyrotechniker Böller und Raketen in die Luft gejagt. Wie bei uns an Silvester. Was schon ein ziemlich eigenartiger Kontrast zu den Lebensbedingungen in Bahia ist. Aber so ist der Brasilianer. Lebensfreude ist ein hohes Gut.

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Richtung Achtelfinale

VON CHRISTOPH FISCHER

Deutschlands Nationalmannschaft kann sich in Brasilien gegen den Erfolg kaum noch wehren. Vor dem letzten Gruppenspiel kann als weitestgehend sicher gelten, dass die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw nach der Vorrunde Gruppenerster wird und das Achtelfinale in Porto Alegre spielt. Das wird auch Löws Vorgänger Jürgen Klinsmann und die USA kaum ändern können.

Das ist ein großer Erfolg. Wenn auch ein erwartbarer. Auch im Achtelfinale winkt in Belgien, Russland oder Algerien eine Aufgabe, die nicht unlösbar erscheint. Joachim Löws Marschroute stimmt, seine Mannschaft hat bisher die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt. Das ist nicht wenig, angesichts der geäußerten Erwartungen aber noch nicht genug.

Jeder in der äußerst selbstbewussten deutschen Mannschaft spricht vom Titel als ausgegebenem Ziel. Drumherumgeredet wird nicht. „Wir sind nicht in Brasilien, um an der Copacabana spazieren zu gehen“, sagt Lukas Podolski, der beim Turnier bisher noch gar nicht zum Einsatz kam.

Löws Auswahl funktioniert, die großen Aufgaben warten naturgemäß ab Viertelfinale. Dennoch scheint die Prognose nicht übertrieben, dass es die deutsche Mannschaft auf jeden Fall wieder ins Halbfinale schaffen kann. Alles andere hängt dann von Nuancen ab. Was nichts daran ändert, dass für den Bundestrainer diese Weltmeisterschaft nur dann ein Erfolg wird, wenn er im achten Jahr seiner Amtszeit endlich den ersehnten Titel gewinnt. Es wäre der vierte für Deutschland. Und für Joachim Löw die Krönung seiner Amtszeit.